Nein, eigentlich nicht. Vielleicht ein bisschen bisexuell, wie wahrscheinlich jeder Mensch, aber davon merke ich bis jetzt nichts. Homosexualität scheint noch immer ein Tabu-Thema zu sein, selbst in Zeiten politischer Akzeptanz und sogenannten aufgeklärten Jugendlichen. Es wird von den einen als etwas besonderes, etwas außerhalb der Norm angesehen, von den anderen als abartig oder sogar als Krankheit betrachtet.

Kein Wunder also, dass wir Besonderheiten oder Verhaltensweisen abseits der Konventionen als "schwul" bezeichnen. Ich ertappe mich selbst dabei, wie ich im Alltag, in einer illustren Runde genau die Frage aus der Überschrift in den Mund nehme oder Menschen bzw. sogar Gegenstände als "schwul" bezeichne. Bleibt also die Frage, ob man so Homosexuellen überhaupt gleichberechtigt gegenübertreten kann, wenn man gleichzeitig ihre sexuelle Ausrichtung als Schimpfwort verwendet.

Was bezeichnen wir eigentlich mit "schwul"? Wenn wir es in diesem abwertenden Kontext verwenden, dann verweisen wir zumeist auf feminine Allüren homosexueller Männer, also den gesellschaftlich nicht gerne gesehenen weiblichen Touch bei Männern. Vielleicht fehlt mir ein repräsentativer Blick auf die Homo-Szene, aber in meinem Umfeld kann ich die (wenigen) Homos weder durch Aussehen, noch durch Verhalten von den Heteros unterscheiden. Offensichtlich hat "schwul" also zwei Bedeutungen, einmal die platte sexuelle Orientierung, und einmal die schwer zu definierende, komplexe, abwertende Bezeichnung.

Ist es daher nicht legitim, die letztere Bedeutung abwertend zu benutzen, weil diese abwertende Bedeutung sowieso existiert? Könnte man nicht in der Überschrift "schwul" durch "behindert" ersetzen, und der Satz hätte die selbe Bedeutung? Braucht die Gesellschaft nicht immer abwertende Wörter im Sprachgebrauch, um eben genau Abwertung auszudrücken? Sind nicht auch im Humor oder in Witzen Minderheiten bzw. Randgruppen immer die Opfer, weil ihre Besonderheit in genormten Situationen Komik erzeugt?

All diese Fragen sind schwer zu beantworten. Worüber wir uns außerdem Gedanken machen sollten, ist die Frage, warum wir überhaupt Abwertung brauchen, oder warum wir sie mittels stellvertretenden, gesellschaftlich benachteiligten Minderheiten ausdrücken müssen (wollen?).