Ich habe vor kurzem mein Informatikstudium an der TU Wien abgeschlossen, Zeit für einen kleinen Rückblick. Obwohl in diesem Artikel auch viele für mich negative Dinge vorkommen werden, so habe ich doch die Jahre sehr genossen, viel dazu gelernt und viele interessante Menschen getroffen. Ich möchte diesen Lebensabschnitt nicht missen und würde mich wohl wieder für die TU Wien entscheiden.

Der Anfang

Ca. 60% aller Informatik-Neuinskribierenden österreichweit beginnen ihr Informatikstudium an der TU Wien. So auch ich, da für mich erstens Wien als einzig ernstzunehmende Stadt in Österreich schon mal als Ort fix war, und zweitens weil für mich die TU als einzige Institution überhaupt in den Sinn kam. Ich kam nicht mal auf die Idee mich überhaupt über Informatikstudien an der Uni Wien, WU Wien etc. zu erkundigen. Die TU profitiert extrem von ihrem Image, das praktisch ein Selbstläufer ist. Egal wie prekär die Situation an der TU ist, wie schlecht betreut die Lehre ist, wie sehr ein selbstbestimmtes Studium eingeschränkt wird, wie viele intelligente Köpfe wegen den miesen Arbeitsverträgen fliehen - in den Medien ist die TU stets die Top-Universität und lockt weiterhin die Unwissenden (sowohl Studierende als auch Profs) an. Dadurch bleiben auch einige schlaue Leute an der TU kleben und sorgen dafür, dass die TU weiterhin am Leben gehalten wird.

Jedenfalls kam ich mit meiner HTL-Vorbildung an die TU und konnte sehr leicht mit Fächern wie "Einführung in das Programmieren" (EPROG) und "Grundzüge der Informatik" umgehen. Viele meiner KollegInnen, die keine HTL besucht hatten und noch keine Programmierkenntnisse hatten, fanden EPROG hingegen gar nicht lustig. Es wird versucht den Stoff aus 3 Jahren Programmieren in der HTL in einer Lehrveranstaltung in einem Semester zu vermitteln. Es gibt dafür aber bis heute kein spezielles didaktisches Konzept, nach dem ersten Semester wird dann einfach erwartet, dass du ab sofort sowieso gut programmieren kannst. Entweder du bringst es dir also mit viel Mühe selbst bei, oder du konntest es schon vorher. Alle InformatikerInnen mit TU-Abschluss haben das Programmieren also mit Sicherheit nicht auf der TU gelernt.

Mathe

Die TU hat mir beigebracht formale Mathematik leidenschaftlich zu hassen. Zu Beginn des Informatikstudiums müssen zwei Mathe-Blöcke absolviert werden, die mehrere Probleme aufweisen:

  • Der Stoff ist trocken (siehe Video unterhalb)
  • Der vermittelte Stoff existiert völlig losgelöst für sich, es gibt keine Anknüpfungspunkte zum Rest des Informatikstudiums (gilt speziell für Software Engineering)
  • Einfache Zusammenhänge, die wichtig fürs Verständnis sind, werden nicht klargemacht ("das muss ich Ihnen nicht erklären, das ist eh trivial")
  • Haufenweise Sätze, Definitionen, Beweise ohne sie im selben Atemzug mit Beispielen zu erläutern

Es entsteht also Verwirrung, Unverständnis und Frust. Ich persönlich war mir ziemlich sicher, dass ich den Stoff halbwegs verstanden hatte, dennoch musste ich dreimal zur Vorlesung Mathematik 1 antreten, bis ich eine positive Note erreicht hatte. Daraus lässt sich auch ein gewisser Knock-out Charakter ablesen, weswegen viele talentierte Leute das Studium einfach schmeißen. Umso ärgerlicher war für mich die Tatsache, dass ich die Inhalte von Mathematik1 & 2 später nicht mehr in meinem Studium brauchte, höchstens die Nebeneffekte wie formales Denken oder wie prinzipiell ein formaler Beweis ausschaut. Dennoch wird an der TU sehr stark an dieser Vermittlung von Mathematik festgehalten, anstatt einen einfachen Ersatz mit ein bisschen Logik, formaler Notation und Beweisführung anzubieten.

Autodidakt

Das Massenstudium Informatik und die schlechten Betreuungsverhältnisse im weiteren Verlauf meines Studiums haben aus mir einen Autodidakten gemacht, was ich gar nicht schlecht finde. Für Informatik ist meist kein spezielles Equipment (z.B. Labors oder Geräte) erforderlich, deshalb kann sehr viel von zu Hause oder von anderen Orten aus erledigt werden, es muss nur ein Rechner vorhanden sein. Auch dadurch wird das Erlernen und Einüben auf eigene Faust begünstigt. Außerdem werden Kenntnisse über wichtige Werkzeuge (z.B. Linux, Unix-Shell, SSH, Subversion/Git, Eclipse, LaTeX, etc.) einfach vorausgesetzt und gar nicht auf der Uni gelehrt, die musste ich mir auch selber beibringen. Auch das kann ich nachvollziehen, da eine universitäre Ausbildung ja eher auf Konzepte fokussieren sollte und nicht auf gerade aktuelle Implementierungen. Zu guter Letzt kommen noch die oftmals sehr schlechten Lernunterlagen hinzu, die mich dazu gezwungen haben mir den Stoff mit Google, Wikipedia und manchmal sogar mit Büchern zu erarbeiten. Eine Konsequenz daraus ist auch das VorlesungsWiki, eine Plattform von Studierenden für Studierende, wo Meinungen, Materialien und Tipps zum Studium ausgetauscht werden.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass einige ProfessorInnen immer noch glauben, dass die TU eine Präsenzuniversität ist. Daran wollen sie auch festhalten und stellen absichtlich schlechte Lernunterlagen bereit, damit die Leute doch gefälligst brav in die Vorlesung kommen. Natürlich geht das etwas an der Realität vorbei, das Informatikstudium kann problemlos auch als Fernstudium betrieben werden, da es selten Anwesenheitspflichten gibt und wir sowieso zu Autodidakten angeleitet werden. Ich habe diese Flexibilität immer geschätzt und oft nur gut gestaltete Vorlesungen besucht. Den Rest bringst du dir eben selbst bei.

Fachschaft Informatik

Eine der wichtigsten Erfahrungen im Studium war meine Beteiligung an der Fachschaft Informatik, der Studienrichtungsvertretung. Ich kam mit sehr vielen intelligenten und interessanten Leuten in Kontakt und habe meinen Horizont bezüglich Informatik, Basisdemokratie, Unipolitik, Feminismus, Gesellschaftspolitik und vielem mehr extrem erweitern können. Ich habe gelernt als Teil einer Interessenvertretung Dinge selbst in die Hand zu nehmen und mich an meiner Studiensituation aktiv zu beteiligen. Danke für so viele spannende Themen und den Rückhalt, den mir die Gruppe gegeben hat.

Wissenschaftlichkeit?

Die TU legt immer sehr viel wert auf Wissenschaftlichkeit und betont das auch laufend. "Wissenschaftlich" bedeutet in meinen Augen die Beschreibung von Erkenntnissen, die einfach nachprüfbar sind. Ich habe eine Theorie oder eine Idee, ich untersuche sie mit einem Experiment oder einer Implementierung, ich beschreibe Resultate und wie ich auf sie gekommen bin. Nachprüfbarkeit ist meines Erachtens dabei der wichtigste Aspekt, nur dann kann Wissensvermittlung funktionieren. Leider steht aber bei vielen "wissenschaftlichen" Arbeiten, die ich mir angesehen habe, die Wissensvermittlung nicht im Vordergrund; es werden sehr lange Sätze und viele Fremdwörter verwendet, um die Komplexität des Textes zu erhöhen. Oft kommt es mir so vor, als würde die Autorin versuchen einfache Zusammenhänge krampfhaft zu verkomplizieren. Vielleicht gibt es da einen gewissen Minderwertigkeitskomplex unter den ForscherInnen, was zu einfach klingt kann nicht wissenschaftlich sein? Die TU ist jedenfalls eine öffentliche Bildungseinrichtung, die einerseits Wissen erzeugen und andererseits auch vermitteln soll - wenn Wissenschaftlichkeit aber mit Komplexität gleichgesetzt wird, dann kann beides nicht gut funktionieren.

Das traurige dabei ist, dass dieser Wissenschaftlichkeitsbegriff auch auf mich abgefärbt hat. Wenn ich mir meine Diplomarbeit so anschaue dann passt sie an manchen Stellen auch ins Schema und in den Stil der üblichen überladenen, aufgeblähten Publikationen.

Elite und Arroganz

Üblicherweise betrachten sich Studierende, Lehrende und ProfessorInnen an Universitäten als KollegInnen und tauschen gemeinsam Wissen aus. Leider zeigte sich vor allem in den letzten Jahren ein anderes Bild: "Wissen Sie, ich bin ja auf Ihrer Seite, aber Sie müssen ja selbst zugeben, dass 50% der Informatikstudis einfach nur Vollidioten sind" sagte einmal ein Lehrender zu mir. Ich habe mir eine Antwort verkniffen, auch wenn ich am liebsten das Kompliment angewendet auf Lehrende zurückgegeben hätte - wir sollten mit solchen plumpen Pauschalaussagen vorsichtig sein. Generell läuft es aber darauf hinaus, dass schlechte und mittelgute Leute an der TU unerwünscht sind, denn wir wollen nur die besten der besten. Dieses Denken ist auch durch die immer schlimmer werdenden Sparmaßnahmen gefördert worden, und irgendwann gibt die Fakultät halt auf, um mehr Geld beim Ministerium zu kämpfen. Dann wird eben versucht die Studierendenzahlen zu senken (auch wenn eigentlich mehr InformatikerInnen in der Wirtschaft gebraucht werden), was so abstruse Blüten treibt wie die Studieneingangsgespräche oder die schärfste Studieneingangsphase an der ganzen TU.

Der Eilte-Wahn schlägt sich aber auch zum Beispiel bei den Regelungen für Erasmus-Auslandssemester nieder, wonach keine Pflichtfächer mehr im Ausland gemacht werden dürfen (Begründung: Prüfungstourismus, im Forum gibt es denn passenden sarkastischen Kommentar dazu). Für Studien mit wenigen Wahlfächern bedeutet das praktisch die Abschaffung von Auslandsaufenthalten. Apropos wenige Wahlfächer: Der Studienzweig Technische Informatik spielt in einer eigenen Liga was den Begriff "elitär" angeht, sowohl vom größenwahnsinnigen Studienplan her, als auch von den handelnden Lehrenden in diesem Bereich (allein darüber könnte ich wohl seitenweise schreiben).

Ein Effekt dieser Elite-Bestrebungen ist auch ein Rückgang des Frauenanteils bei den AnfängerInnen von 20% auf 14% im Sommersemester 2011 (Einführung der Studieneingangsgespräche). Ich rechne damit, dass sich dadurch der Frauenanteil bei Informatikstudierenden mittelfristig halbieren wird.

Was kann ich jetzt eigentlich?

Studium abgeschlossen, was bleibt hängen? Ich habe gelernt mich umfassend selbst zu organisieren, strukturiert und analytisch zu denken, sowie Vorgehensweisen kritisch zu hinterfragen. Ich nehme aus meinem Studium viele Konzepte der Informatik mit, die sich oft wiederholen und vielerorts angewandt werden können. Ich fühle mich in meinem Kerngebiet (Software Engineering & Internet Computing) gut gerüstet und kann mich auch auf anderen Gebieten schnell einarbeiten. Ich habe darauf geachtet mein Studium breit aufzustellen und im Rahmen meiner Freifächer auch völlig andere Themen kennenzulernen, auch um das Studium wenigstens ein bisschen interdisziplinär zu gestalten und der Fachidiotie entgegenzuwirken.

Nichts desto trotz entspreche ich wahrscheinlich nicht den Wunschvorstellungen, die unsere ProfessorInnen an AbsolventInnen haben: "Wie viel ist log(1)? Wer diese Frage nicht sofort beantworten kann, hat den Abschluss nicht verdient." Tja, nach der Definition habe ich den Abschluss nicht verdient, ich kann die Frage natürlich nicht sofort beantworten. Dazu habe ich mich in meinem Studium viel zu wenig mit Mathematik beschäftigt und bin eingerostet. Was ich allerdings schon tun kann, ist kurz Nachzudenken und mir im Kopf eine Herleitung zu basteln, ich weiß der Logarithmus ist die Umkehrfunktion einer Exponentialfunktion, ich kann visualisieren wie sich diese Kurve verhält ... letztlich würde ich wohl dahinter kommen (auch ohne Internet). Jedenfalls ist mir diese Fähigkeit zur Problemlösung lieber als eine zufällig auswendig gekonnte Lösung.